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Die wohl berühmteste Zithermelodie der Welt

Verantwortlicher Autor: Herbert J. Hopfgartner Salzburg, 04.02.2023, 20:55 Uhr
Fachartikel: +++ Kunst, Kultur und Musik +++ Bericht 14982x gelesen

Salzburg [ENA] In der populären Musik spielt das Instrument (nach wie vor) nicht wirklich eine große Rolle – und doch: Anton Karas schuf mit dem "Harry Lime-Thema" einen Hit, sogar einen Welthit. Dass diese Instrumental-Nummer so berühmt geworden ist, liegt natürlich auch daran, dass der Film "The Third Man" in den 1950er Jahren ein großes Publikum fand. Das charakteristische Motiv entzückte in der Folge nicht nur Cineasten...

Vor gut zehn Jahren sicherten sich die Vereinigten Bühnen Wien die Rechte an der weltbekannten Story („The Third Man“) – die cineastisch-berühmte Wiener Nachkriegsgeschichte sollte, wenn schon, in Österreich eine musikdramatische Umsetzung als Musical erfahren. Bis jetzt mussten die Fans dieser Gattung allerdings vergeblich auf eine Inszenierung warten! Vielleicht fehlt eine melodramatische Geschichte oder es gibt einfach zu wenige, erfolgversprechende Musikstücke...

Dass der Zitherspieler und Komponist Anton Karas mit dem „Harry-Lime-Thema“ annähernd so viele Tonträger verkauft hat wie Falco, dürfte der jüngeren Generation nicht unbedingt bekannt sein. Und noch etwas überrascht: Die zwei österreichischen Musiker standen jeweils an der Spitze der US-Charts! Der Instrumentalklassiker aus dem „Dritten Mann“ belegte vor über 70 Jahren elf Wochen lang den ersten Platz (1950). Falco gelang dies mit seinem Hit „Rock Me Amadeus“ viele Jahre später (1986) ebenso – und das sowohl in den USA (17 Wochen) als auch im Vereinigten Königreich (15 Wochen).

Ein Kind aus dem „Glasscherbenviertel“: Anton Karas wird am 7. Juli 1906 geboren, er wächst im 20. Gemeindebezirk auf, wobei die Brigittenau zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein typischer Arbeiterbezirk mit großem Zuzug ist. Die siebenköpfige Familie wohnt in relativ beengten Verhältnissen. Obwohl der Vater, Karl Karas sen., Fabrikarbeiter ist und der Familie keinen großen Luxus bieten kann, lernen die Kinder jeweils ein Instrument. Anton entdeckt auf dem großmütterlichen Dachboden eine Zither und beschließt spontan dieses damals populäre Instrument zu lernen.

Auf Wunsch des Vaters beginnt er eine Lehre als Werkzeugschlosser; schließlich soll Anton einen „anständigen“ Beruf erlernen. Nach der Gesellenprüfung wird der 17-Jährige gekündigt – in den 1920er Jahren ist Arbeit knapp und die wirtschaftliche Lage im Land alles andere als rosig. So tritt er abends in Heurigenlokalen auf, bildet sich in Musiktheorie weiter und schaut sich von anerkannten Zitherspielern einiges ab. Auch wenn er nicht ganz freiwillig zum Berufsmusiker wird, übt er seine neue Beschäftigung sehr gerne aus. Er tauscht die Werkshalle mit dem Heurigenlokal, seine neue Arbeitsstätte ist nun der „Martinkovits“ in der Sieveringer Straße.

Im Dezember 1930 wird kurzerhand geheiratet – seine Frau, Katharina Perger, ist schon schwanger. Da er mit der Musik schon mehr verdient als sein Vater, kann er als Zitherspieler in vergleichsweise schwierigen Zeiten eine ganze Familie erhalten. Im Zweiten Weltkrieg dient er bei der Fliegerabwehr und auch während dieser Jahre ist die Zither ihm eine treue Begleiterin. Wahrscheinlich hilft sein Musizieren ihm und den übrigen Soldaten den Kriegsalltag ein wenig zu vergessen. Da er immer wieder vor den Offizieren der deutschen Wehrmacht spielen muss, schützt ihn das Musizieren vielleicht sogar vor allzu riskanten Kriegseinsätzen.

Heil in Wien zurückgekehrt scheint alles wieder seinen gewohnten Lauf zu nehmen: Er spielt im Martinkovits und musiziert auf seiner Zither gefällige Wienerlieder. An einem Abend im Oktober 1948 hört ihn offensichtlich auch Carol Reed, ein britischer Regisseur, der gerade in der geteilten Stadt einen Spielfilm dreht. Er ist von der eigentümlichen Atmosphäre des Vorstadtlokals, dem für ihn ungewohnten Klang der Zither und dem unscheinbaren Musiker im schwarzen Anzug begeistert. Dieses schicksalhafte Aufeinandertreffen der unter-schiedlichen Männer wird in den nächsten Jahrzehnten oft und in verschiedenen Versionen erzählt. Sicher scheint zu sein, dass Reed den Musiker schlussendlich überredet mit ihm für Studioaufnahmen nach London zu kommen.

Nachdem sich Karas vornehmlich als Interpret von Wiener Heurigenmusik sieht, fallen ihm nicht sofort passende Melodien ein. Tagelang muss sich der Musiker immer wieder Teile der Rohfassung des Films anschauen und dazu auf der Zither improvisieren. Und dann, irgendwann im Sommer 1949 – der genaue Zeitpunkt ist nicht überliefert –, erklingt das „Harry-Lime-Thema“ zum ersten Mal! Der Regisseur ist sofort begeistert, Karas spricht gar von einer „Explosion“, „Sternstunde“ und einem „großen Wurf“.

Knappe drei Monate verbringt der Musiker in der britischen Hauptstadt – er erhält an die 600 Pfund und diverse Aufwandsentschädigungen. Trotzdem ist er heilfroh, als er wieder nach Wien zurückkehren kann. Ende August 1949 kommt der Film in Großbritannien in die Kinos, nicht einmal drei Wochen später erhält der Spielfilm die Goldenen Palme bei den Festspielen in Cannes. 1951 bekommt „The Third Man“ – in anglophonen Ländern auch als „The Zither Film“ bekannt – sogar den Oscar – für die beste Kamera (Schwarzweiß).

Die Single „The Third Man Theme / Der Café-Mozart-Walzer” wird im Dezember 1949 in den USA veröffentlicht – und erreicht im darauf folgenden April den ersten Platz. Knappe 25 Jahre später sind schon 40 Millionen Tonträger verkauft: Ein österreichisches Musikstück – noch dazu eine Instrumentalnummer! – hat die Welt der populären Musik erobert! Nicht genug damit: Zahlreiche Musiker und Bands, darunter Billy Vaughn, Eddie Cochran, The Beatles, The Band und The Shadows „covern“ das Musikstück und zeigen damit mehr als einen kollegialen Respekt!

In neuerer Zeit ist es André Rieu, der das Stück in sein Konzertprogramm „Strauß & Co“ aufnimmt. In dem Film „Der Schuh des Manitu“ erhält die Komposition eine gänzlich neue, vermutlich sogar groteske Bedeutung. Nichtsdestotrotz lernen junge Menschen auf diese Weise die Musik von Anton Karas kennen. Die Tonschöpfung selbst fällt nicht nur durch die eigentümliche Klangfarbe der unbegleiteten Zither, sondern auch durch die konzentrierte und oftmalige Verwendung des Halbtonschrittes auf. Das minimalistische Motiv (zwei aufwärts führende, kleine Sekunden) zieht sich programmatisch durch das ganze Arrangement; lediglich der dritte Teil variiert das Thema ein bisschen. Diese Besonderheiten verleihen dem Werk einen hohen Wiedererkennungswert.

Die internationale Filmkritik spart in den 1950er-Jahren nicht mit Lob: Der melodramatische Charakter des Films, die im wahrsten Sinn des Wortes „schrägen“ Kamerabilder, die Besetzung und natürlich die Musik erfahren eine ausdrückliche Würdigung. In Österreich freilich kommen das zerbombte Wien sowie die realistischen oder sogar düsteren Blicke in die Unterwelt nicht bei jedem gut an. Hängt man hierzulande immer noch der k.-u.-k.-Postkarten-Idylle nach?

Und Anton Karas? Er, der sich in Sievering am wohlsten fühlt, reist nun mit seiner Zither durch Europa und die ganze Welt: In vielen Metropolen (Paris, London, Kapstadt, Hongkong, New York, Las Vegas), auf allen fünf Erdteilen spielt er in Clubs, Kasinos, Konzertsälen, vor Königen, Kaisern und dem Papst. Dass er im Oktober 1955 anlässlich der Feierlichkeiten zur Unabhängigkeit Österreichs den „Dritten Mann“ zum Besten geben muss, versteht sich fast von selbst. Er nutzt den internationalen Ruhm und eröffnet in Wien sogar seinen eigenen Heurigen – „Zum Dritten Mann“ – wobei er durchaus prominente Gäste wie z. B. Orson Welles, Gina Lollobrigida und Curd Jürgens begrüßen kann.

Das Geschäftliche ist jedoch seine Sache nicht: Einige Jahre später werden ihm der Rummel und die kaufmännische Arbeit zu viel. Er will sich fortan nur noch auf sein Zitherspiel konzentrieren. 1973 feiert Karas ein seltsames Jubiläum: Eigenen Angaben zufolge musiziert er – bezeichnender¬weise wieder in London – die weltbekannte Melodie zum 75.000. Mal. Wie es sich gehört, wird er in der Zwischenzeit auch vom offiziellen Österreich geehrt: Orden und Verdienstzeichen schmücken seine Biographie, eifrige oder eitle Politiker stehen Schlange, um sich mit dem Musiker ablichten zu lassen.

Als Anton Karas mit 78 Jahren stirbt (1985), ist gerade ein anderer Stern am heimischen Musikhimmel aufgegangen: Hans Hölzl alias Falco startet eine Solo-Karriere. Im Jahre 1981 erscheint der „Der Kommissar“, in Österreich wie in vielen anderen Ländern ein vielbeachteter Rap-Song. Vier Jahre später, eben genau im Todesjahr von Anton Karas, wird „Rock Me Amadeus“ produziert. Und wieder verdreht ein österreichischer Musiker den US-amerikanischen Musikhörern den Kopf…

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